Dragonshard

Dragonshard

(Atari)

geschrieben von Matthias Lanwehr

 

Die Geburtsstunde von "Dungeons & Dragons", der Mutter aller Rollenspiele, liegt mittlerweile zwar mehrere Jahrzehnte zurück und hat bereits einige exzellente Adaptionen in den Action- und Rollenspielabteilungen auf Konsolen und PCs hinterlassen, aus irgendeinem Grund schien sich aber noch kein Entwickler mit der Idee eines Vertreters für Hobbystrategen anfreunden zu können. Bis jetzt zumindest: Atari hat sein Herz für Freizeitfeldherren entdeckt und rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft einen in der neuen Kampagnenwelt Eberron angesiedelten Vertreter für heimische PCs ins Rennen gegen die mächtige Konkurrenz geschickt. Dabei herausgekommen ist eine ganz eigene Mischung aus Strategie- und Rollenspielelementen, die Einsteigern und Gelegenheitsspielern einen umfassenden Einblick in zwei ganz große Genres der virtuellen Unterhaltung geben.

Story

Das Prinzip und ein nicht unwesentlicher Teil des Erfolgsrezepts der klassischen Buchvorlage von "Dungeons & Dragons" ist, dass das Regelwerk von den unterschiedlichen Spielwelten abgetrennt ist. In der Praxis bedeutet das, dass die Spielregeln zwar immer dieselben sind, der Spieler allerdings selbst entscheiden kann, ob er mit seiner Gruppe lieber durch eine futuristische, fantastische oder gar gotische Welt ziehen möchte, die alle eine eigene Geographie, Geschichte und so weiter besitzen. So spielten sich z. B. "Neverwinter Nights" in den "Vergessenen Reichen" und "Torment" in der "Planescape"-Welt ab. Mit dem neuen Reich "Eberron", in dem "Dragonshard" angesiedelt ist, bekommen Fantasy-Fans nun gehörigen Nachschlag: Einer Sage nach entstand aus dem Kampf zwischen zwei Drachen die Ober- und Unterwelt, die beide seitdem im ewigen Krieg miteinander liegen. Tummeln sich auf der hellen Seite der Weltkugel eher die Standardvölker der Menschen, Zwerge und das Echsenvolk, hat die Unterwelt einiges an unappetitlichem Gezücht aus dem neuesten Kreaturenbuch zu bieten.

Das Spiel selbst beginnt mit dem recht harmlosen Hilferuf eines befreundeten Stützpunktes, der sich unter der Belagerung eines gegnerischen Bataillons befindet. Dass sich dahinter mehr verbirgt, als es zuerst den Anschein macht, ist klar. Mehr über das Herz des Siberys, den drei Parteien, die sich auf die Suche danach machen und den Ursprung des Spieltitels zu verraten, wäre allerdings, als würde schnell der Werdegang von Arthas aus "Warcraft 3" zusammengefasst werden. Dass sich die Handlung sehr gut in das Eberron-Universum einfügt, ist Keith Baker zu verdanken. Dieser liefert nicht nur den Plot von "Dragonshard", sondern ist auch der Autor der Spielwelt selbst. So bekommen "Dungeons & Dragons"-Spieler, die sich bisher nicht von ihren "Vergessenen Reichen" und "Ravenloft" lösen konnten, einen Einblick in die neue Welt und jagen ihre Spielergruppe vielleicht auch mal durch die verwinkelten Umbragen-Höhlen.

Gameplay

Nachdem man sich entweder für die Kampagne der Menschen oder des Echsenvolks entschieden hat, will am Anfang jeder Mission noch ein Held gewählt werden. Dies läuft zwar bei weitem nicht so detailliert ab wie bei Vertretern der Rollenspielfraktion, doch kommt schon bei Betrachtung der Liste der Fähigkeiten des virtuellen Egos eine leichte taktische Komponente auf: Einerseits verfügt der Schurke Kael hauptsächlich über defensive Fähigkeiten wie die Entschärfung von Fallen, was in Dungeons sehr nützlich ist, andererseits bietet Bastion, ein so genannter Kriegsgeschmiedeter, eine Auswahl von flächendeckenden Angriffen, was ihn zu einem wertvollen Anführer in großen Schlachten macht. Danach geht es an die Erkundung des Gebietes, aus dem der Notruf stammt. Erfahrene Strategen werden sich sofort heimisch fühlen, da sich auf den ersten Blick am traditionellen Prinzip der Ressourcenverwaltung und Kartenerkundung nichts geändert hat. Für neue Feldherren bietet das obligatorische Tutorial einen fast schon zu detaillierten Überblick über die ersten Schritte in der neuen Welt. Sobald der erste Kampf ausgelöst wird, fällt ein Manko auf, das den einen oder anderen Spieler am Kopf kratzen lässt: Den speziellen Talenten der Helden bzw. Einheiten wurden keine Hotkeys zugeordnet, was in größeren Schlachten einen großen organisatorischen Nachteil hat.

Und dann gibt es noch das Nexus-System: So wird die Entwicklung der heimischen Basis bezeichnet, die etwas anders als gewöhnlich abläuft. Hier kommt das erste Mal ein bisschen Rollenspiel-Flair auf, da nicht einfach drauflos gebaut werden kann, sondern nur an bestimmten Punkten die Basis weiter wächst. Mancher Strategieveteran mag kopfschüttelnd auf das Nexus-System reagieren, im Grunde genommen ist die Limitierung des Bauraums aber ein strategischer Kniff, der das Spiel viel interessanter macht. Gebäude können nicht aufgerüstet werden, sondern benötigen Anbauten, um ihren Level zu erhöhen. So stellt sich auf jeder Karte die Frage, ob eine große Gruppe unterschiedlicher Kämpfer oder lieber eine spezialisierte Truppe den Gegnern die Hölle heiß machen soll. Was die Planung dabei stark erleichtert, ist, dass sämtliche Einheiten von Anfang an erstellt werden können und jederzeit eine Liste der Klassen, und welche davon unter welchen Umständen gekauft werden kann, einsehbar ist. Diese Funktion verhindert den Bau von Gebäuden, die eigentlich überflüssig sind, da die Limitierung der bebaubaren Felder eine solide Prioritätensetzung erfordert und die Anzahl der Einheiten nicht gerade gering ist. Kenner der zahlreichen Ableger des "Dungeon & Dragons"-Universums werden sich freuen, dass neben nur in Eberron vorhandenen Spezies wie den Umbragen auch alte Bekannte rekrutiert werden können: Betrachter, Elementardrachen, Yuan-Ti, Celestische und Halblinge warten ebenfalls darauf, sich ins Kampfgetümmel zu stürzen.

Auf den unterschiedlichen Eroberungszügen kommt der Held oft an Höhlen oder Kerkern vorbei, die er betreten kann. Das Ganze erinnert im ersten Moment stark an die Innenlevel von "Warcraft 3", hat aber einen gravierenden Unterschied: Im Gegensatz zum großen Bruder handelt es sich bei den unterirdischen Erkundungen um eine Erforschung im Stil von "Baldur´s Gate". Der Trupp um den Helden wird stark eingeschrumpft, fliegende Einheiten dürfen Dungeons nicht betreten, aber nur dort findet man bestimmte Gegenstände und um einiges mehr Monster, die den Erfahrungspunktehaushalt erhöhen. "Dungeons & Dragons"-Veteranen dürfen sich freuen, da bei einem Levelaufstieg altbekannte Fähigkeiten aus dem Regelwerk der dritten Edition erscheinen. Ob der Hammer der Gerechtigkeit, der Klingenhagel oder die allgemein beliebte Fähigkeit des Fallensuchens verbessert wird, alle Fähigkeiten erinnern an die letzten Würfelabenteuer mit Freunden und Pizza. In den Verliesen lassen sich ebenfalls allerhand Fallen und Schätze finden und verschiedene Bonusaufgaben absolvieren, die allgemein von NSCs vergeben werden, die die Truppen bei fleißiger Untersuchung der Level ansprechen.

Sobald eine der Quests beendet wurde, werden die Mühen mit seltenen Gegenständen und Gold belohnt. Unterschätzen sollte man diese Zusatzaufgaben nicht, da ein kleiner Umweg manchmal enorme Vorteile bringen kann, gerade weil sich die Helden ziemlich häufig mit wenig Unterstützung durch die zahlreichen dunklen Labyrinthe schlagen müssen. Dummerweise ist die Unterwelt aber der einzige Ort, an dem das virtuelle Alter Ego nennenswerte Fortschritte in Sachen Stufenaufstieg machen kann. Abgesehen davon macht eine ganz bestimmte Designidee das Hochzüchten der Kämpfer nicht nur zum Zeitvertreib für Zwischendurch, sondern zwingend notwendig: Am Anfang jeder neuen Karte der Kampagnen darf zwar ein neuer Held gewählt werden, sobald dieser aber in die Polygonschlacht entlassen wird, startet jeder Anführer mit dem für den Level vorgesehenen Equipment. Egal, wie viele Zauberspruchrollen die heldenhafte Priesterin auf dem letzten Ausflug in die Unterwelt gefunden bzw. gespart hat, am Anfang der nächsten Etappe sind diese nicht mehr vorhanden. Der Level der Charaktere ist das Einzige, was wirklich zuverlässig in spätere Missionen übertragen wird.

Die miteinander verschmolzenen Spielmodi haben eine interessante Methode, den Erkundungsdruck zusätzlich zu den sich ebenfalls aufrüstenden gegnerischen Truppen zu erhöhen: Die Zeit bleibt in beiden Welten nicht stehen. Aus diesem Grund werden pro Karte zwei Minimaps eingeblendet, um die Fortschritte auf beiden Ebenen einsehen zu können. So kann die Reaktion bei einem Angriff in einem Dungeon manchmal ganz schön hektisch werden, wenn der Spieler eigentlich mit Ressourcenmanagement auf der oberen Ebene beschäftigt war. Dafür wurde der Wechsel zwischen den zwei Spielmodi sehr geschickt inszeniert und ist größtenteils sehr gut nachvollziehbar: In einem Level werden z. B. einige Gegenstände des Lichts gebraucht, um ein gegnerisches Heer zu besiegen. Diese befinden sich allerdings seit Ewigkeiten in einem unterirdischen Verlies, das erst einmal gefunden werden muss. Und genau diese spezielle Mischung aus Rollenspiel und Strategie und der fliegende Wechsel zwischen beiden macht "Dragonshard" so unterhaltsam und kurzweilig.

Grafik

Auf den ersten und zweiten Blick zeigt sich ganz deutlich, welche brennende Legion Vorbild für den Stil der Welt von Eberron war. Bei gut 50 Prozent der Figuren und Schauplätze macht sich das Gefühl breit, die "Warcraft 3"-Völker haben nach einem neuen Job gesucht. Die Untoten, vornehmlich in einem kräftigen Lila vertreten, erinnern dermaßen stark an ihre Kollegen von Blizzard, dass man zeitweise vergisst, welches Spiel gerade läuft. Dafür lässt sich bei der breiten Palette an Monstern absolut nichts beanstanden. Was Liquid in Sachen Biest-Animationen und Vielfalt auf die Beine gestellt hat, ist wirklich beeindruckend. Wenn ein unachtsamer Held bei seinen unterirdischen Erkundungen auf einen Betrachter stößt und dieser mal eben die halbe Gruppe wegbrutzelt, ist nicht nur schnelle Reaktion gefragt, es sieht dabei auch noch gut aus. Während der Gefechte werden Zauber von netten Lichtspielen unterstützt und wenn einer der Helden eine spezielle Kraft einsetzt, wird schön geleuchtet.

Netterweise hat Liquid Entertainment im Eifer des Gefechts kleine Animationen wie z. B. wehendes Gras, sich im Wind wiegende Bäume oder vorbeiziehende Vögel nicht vergessen. Das temporeiche, gerenderte Intro ist von der Qualität zwar nicht State of the Art, stimmt mit seinen fantasievollen Bildern aber sehr gut auf die kommenden Schlachten ein. Die kleinen Macken wie ab und zu eine unscharfe Textur oder ein gelegentlich fehlendes Polygon verzeiht man im Eifer des Gefechts gerne, denn Liquid Entertainment erzeugt das, was bei einem Spiel in Sachen Gesamtbild am wichtigsten ist: Atmosphäre.

Sound

Die Musik ist definitiv einer der schwächeren Aspekte von "Dragonshard". Zwar wird das für Fantasy-Versoftungen übliche, epische Synthie-Orchester wieder ausgepackt, doch irgendwie hat man die Melodien alle schon einmal gehört. Die Emotionalität der Musik, die seinerzeit bei "Neverwinter Nights" und "Starcraft" wunderbar funktioniert hat, verpufft hier leider zu einfachem Hintergrundgedudel. Im Gegensatz zu seinen epischen Rollenspiel- bzw. Strategiebrüdern hält sich "Dragonshard" mit seinen Musikstücken so stark im Hintergrund, dass sie absolut nicht auffallen oder gar hängen bleiben. Dafür sind Zaubergebimmel, Monstergeräusche und gesprochene Zwischensequenzen durchaus gut gelungen. Fast alle Sprecher meistern die schwierige Gratwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und überzogenem Weltretter-Kitsch.

Obwohl "Dragonshard" seinem großen Bruder "Warcraft 3" nicht das Wasser reichen kann, handelt es sich um einen unglaublich motivierenden und kurzweiligen Ausflug in die neue Welt von "Dungeons & Dragons". Hardcore-Strategen werden zwar über die geringe Zahl der Feldzüge, die dementsprechend kurze Spielzeit und den Schwierigkeitsgrad meckern, für Einsteiger und Gelegenheitsspieler bietet sich hier aber eine gute Gelegenheit, einen Einblick in die Welt der Strategie- und Rollenspiele zu bekommen, da die Handlungsmöglichkeiten und das Mikro-Management den Spieler nicht überfahren. Die beiden vermischten Genres sind sehr gut ausbalanciert und gerade dem steten Wechsel zwischen Dungeon-Erkundung und epischen Schlachten hat "Dragonshard" einen großen Anteil seines Reizes zu verdanken. Wer "Frozen Throne" im Schlaf durchspielt, sollte vorher auf jeden Fall erst Probespielen. Wer aber einen Einstieg ins Rollenspielfach bzw. in die Echtzeitstrategie machen möchte, kann mit "Dragonshard" einen kurzweiligen, umfassenden Einsteigerkurs mit einer überraschenden Story absolvieren, der Lust auf mehr weckt.

(06.12.2005)

Entwickler: Liquid Entertainment
Publisher: Atari
Genre: Strategie
Releasedate: Bereits erhältlich
Homepage: Dragonshard
Preis: 49,99 Euro
Altersfreigabe: Freigegeben ab 12 Jahren gemäß §14 JuSchG

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