Sleeping Dogs

Sleeping Dogs

(Square Enix)

geschrieben von Ulrich Aßmann

 

     
 

Sechs Monate, nachdem Activision im Jahr 2011 die Entwicklung des neuesten "True Crime"-Spiels aufgrund zu hoher Entwicklungskosten gestoppt hatte, erwarb Square Enix die Veröffentlichungsrechte. Die Erlaubnis zur Verwendung des Namens "True Crime" kaufte der Publisher allerdings nicht, so firmiert das neueste Projekt fortan unter dem Namen "Sleeping Dogs". Was letztlich aus diesem Spiel, untersuchen wir im folgenden Review.

Wei Shen und die bösen Männer

Wie im Film "Infernal Affairs" geht es in "Sleeping Dogs" um einen verdeckten Ermittler, der die Triaden zu unterwandern versucht. Wei Shen, so der Name des Protagonisten, ist in Hongkong geboren und aufgewachsen, hat jedoch im Alter von zehn Jahren die Stadt zusammen mit seiner Familie verlassen und ist in die USA ausgewandert. In San Francisco wurde er zum Polizisten ausgebildet und aufgrund seiner Herkunft für den Undercover-Einsatz geschult. Nachdem er in den Staaten erfolgreich das organisierte Verbrechen bekämpft hatte, wurde er von seinen Vorgesetzten vorgeschlagen, die Triade Sun On Yee in Hongkong für die dortige Polizei zu infiltrieren und zu zerschlagen. Um als Mitglied aufgenommen zu werden, nutzt er Bekanntschaften aus seiner Kindheit. Wei ist dabei oft in einem Gewissenskonflikt, da er, um nicht aufzufliegen, eine gehörige Portion Gewalt und Brutalität an den Tag legen muss, aber gleichzeitig als Polizist möglichst keine Unschuldigen verletzen soll. Erschwert wird seine Aufgabe noch dadurch, dass er private Rachegelüste gegenüber Mitgliedern der Organisation empfindet.

Die Geschichte fängt zunächst langsam an, indem die Charaktere - wie bei Square Enix üblich - etwas länger als nötig eingeführt werden. Nachdem man jedoch sein erstes Ziel - das Gangsterdasein - erreicht hat, nimmt die Story an Fahrt auf und wird spannend und teilweise rasant erzählt. Immer wieder tauchen neue Figuren auf, deren Geschichten im Spielverlauf durch Nebenmissionen weitererzählt werden. Leider bleiben die meisten Charaktere sehr eindimensional. Bei fast jedem ist bereits nach wenigen Augenblicken klar, mit wem man es zu tun hat. Protagonist Wei Shen ist zwar ein gewandter Redner und Charmebolzen, der seinesgleichen sucht, doch auch er bleibt eher blass. Über ihn kann der Spieler jedoch durch die Lektüre diverser Dossiers und psychologischer Profile, die er im Verlauf des Spiels freischaltet, mehr erfahren. Insgesamt motiviert die Handlung dennoch genug, um pausenlos weiterspielen zu wollen. Sie ist gut erzählt, aber für Kenner von Hongkong-Filmen nicht sehr außergewöhnlich.

Bruce Lee hätte vor Rührung Tränen in den Augen

Ein zentraler Aspekt des Spiels ist das Nahkampfsystem, welches sich sehr am Freeflow-Kampfsystem von "Batman: Arkham City" orientiert. Wir befinden uns oft in einer Situation, in der uns mit Hackebeilen und Schraubenschlüsseln bewaffnete Schlägerbanden an den Kragen wollen. Ein Konter hier, ein paar Hiebe dort, noch schnell ein Griff gefolgt von einem Schulterwurf und schon haben wir einen Feind entwaffnet und zersäbeln mit unserem neu erworbenen Küchenmesser einen seiner Kumpane. Dabei füllt sich unsere "Ansehen"-Leiste, wenn wir gut und vor allem eindrucksvoll kämpfen, sehr schnell. Kassieren wir dagegen Prügel, dauert es manchmal sehr lange, bis die Leiste voll ist. Wenn wir die Anzeige komplett gefüllt haben, bringt uns das verschiedene Vorteile. Schwächere Gegner fürchten sich vor unserer Erscheinung und greifen eine Zeit lang nicht an, stärkere Widersacher lassen sich (wenn wir die entsprechenden Upgrades erforscht haben) leichter entwaffnen und besiegen. Zudem werden, während sich die Leiste wieder leert, die Lebenspunkte regeneriert. Wenn man einen Kontrahenten greift, kann man manchmal sogenannte Umgebungskills durchführen, indem man den Kopf des Feindes in einen Ventilator hält, den Gegner in einer Mülltonne versenkt oder ihn schlicht an einem Fleischerhaken aufhängt.

Die Upgrades lassen sich in vier Kategorien einordnen. Die Polizei-, Triaden- und Ansehen-Upgrades sind durch Erfahrungspunkte in der jeweiligen Sparte freizuschalten. Um neue Nahkampf-Fähigkeiten zu erhalten, muss man seinem alten Kung-Fu-Lehrer dessen gestohlene Statuen zurückbringen. Mit der Ansehen-Erfahrung, die man durch fast jede Nebenmission bekommt, verbessert man die Effekte der Ansehensleiste. Zudem werden die Boni durch Essen, Getränke und "Massagen" verstärkt, aber dazu später mehr. Gegen Ende des Spiels bekommt man bei allen Händlern Rabatt auf Autos, Kleidung und Accessoires. Die Polizeierfahrung erhält man durch das Lösen von Fällen für das Polizeidezernat Hongkong, aber auch, wenn man während seiner Gangstermissionen das Leben Unbeteiligter schützt und keine Sachbeschädigung begeht. Fährt man als Gangster vorsichtig, dann bekommt man als Recht schaffender Polizist Verbesserungen für seine Schusswaffen sowie Vorteile beim Hantieren mit Autos. Die Triaden-XP erhält man während Weis Triadenmissionen für besonders geschicktes Kämpfen und Brutalität. Durch sie werden Verbesserungen, wie größere Resistenz gegen unbewaffnete Gegner oder erhöhten Waffenschaden, für den Nahkampf freigeschaltet.

Im späteren Spielverlauf verlagert sich das Spielgeschehen, sodass man weniger Nahkämpfe zu überstehen hat, dafür aber mit mehr oder weniger mächtigen Feuerwaffen die Zahl seiner Feinde dezimiert. Dabei reicht das Arsenal von kleinen Handfeuerwaffen, wie Revolvern, über Maschinenpistolen und Sturmgewehre bis hin zum Granatwerfer, mit dem sich ganze Scharen von Gegnern mühelos töten lassen. Der Fernkampf ist vergleichbar mit dem Duck-and-Cover-System von "Mass Effect", das heißt, man feuert aus der Deckung heraus auf seine Feinde. Ein praktisches Feature ist dabei von "Max Payne" entliehen: Wenn man aus der Deckung herausspringt und dann auf die Gegner zielt, verlangsamt sich die Zeit, sodass man die Ziele leichter anvisieren kann. Kopfschüsse und schnelle Kills verlängern die Dauer dieses Effektes, manchmal verbringt man mehrere Sekunden in Zeitlupe und befördert dabei mit gezielten Schüssen ganze Gegnergruppen ins Jenseits. Besonders praktisch ist dabei die Möglichkeit, nach Sprints und Sprüngen über Hindernisse die in Deckung befindlichen Widersacher direkt zu entwaffnen, sodass man Feuergefechte auch dann überleben kann, wenn man ursprünglich unbewaffnet war.

Wenn's mal wieder länger dauert

Wenn man nicht gerade kämpft, ist man meist entweder motorisiert in der Stadt unterwegs oder hat eine der zahlreichen kurzweiligen, aber nicht zu schweren Parcours-Einlagen zu bewältigen. In diesen verfolgt man einen Flüchtenden, rennt vor der Polizei weg oder bestreitet einfach nur ein Wettrennen gegen eine hyperaktive Tänzerin. In fahrbaren Untersätzen schaltet sich, wie aus den "GTA"-Spielen bekannt, das Radio an. Es steht eine ganze Reihe verschiedener Radiosender zur Verfügung, sodass für fast jeden Geschmack etwas dabei ist: Elektro-, Funk-, Hip-Hop-, Rock- und Dance-Musik sind ebenso vertreten wie klassische Musik. Es hat schon etwas Erhebendes, wenn man auf einem rasend schnellen Motorrad einen möglichst langen Wheelie auf der Autobahn versucht, während im Hintergrund Richard Wagners "Ritt der Walküren" ertönt.

Bei vielen Aktionen, wie Sprüngen mit Autos und Motorrädern, dem Fahren bei hoher Geschwindigkeit oder einer schnellen Abfolge von Kopfschüssen erwähnt das Spiel nebenbei die eigene Position in der Freundesrangliste. Das führte in diesem Test zu oben genanntem Walkürenritt auf dem Zweirad, um die Spitzenposition in dieser Kategorie zu ergattern. Generell bietet das Spiel viele Möglichkeiten, Zeit im virtuellen Hongkong zu verbringen. Das fängt bei Nebenmissionen, die man von befreundeten Gangstern erhält, an, geht über Wettkämpfe in den örtlichen Kampfsportvereinen bis hin zu Autorennen und sogenannten Events. Zur Veranschaulichung des Spielgeschehens sei hier ein besonders einprägsames Beispiel erzählt: Wir fuhren gerade mit unserer Rennmaschine über die Autobahn, als wir auf einem Parkplatz ein Klopfen, gefolgt vom Schrei einer Frau, hörten. Selbstverständlich versuchten wir, die vermeintliche Jungfrau in Nöten zu retten. Allerdings stellte sich heraus, dass sie weder eine Jungfrau noch in Nöten war. Mitten in einem Rollenspiel mit ihrem Liebhaber hat ebendieser einfach auf einem Parkplatz angehalten und ist gegangen. Die Frau kreischte uns an, dass wir uns gefälligst aus ihren Angelegenheiten heraushalten sollen. Irritiert stiegen wir wieder aufs Motorrad und gingen unserer Wege.

Frauen lernt Wei Shen während seines Aufenthaltes in Hongkong einige kennen. So trifft er sich beispielsweise mit der Touristin Amanda und zeigt ihr die Stadt. Als Gegenleistung markiert sie ihm hinterher auf der Karte die Lebensschreine, bei denen er Räucherstäbchen anzünden und beten kann. Für jeweils fünf Schreine erhöhen sich die Lebenspunkte um zehn Prozent. Ganz ähnliche Vorteile haben die Affären mit den anderen Frauen, jedoch hat man leider keine Chance, längerfristige Beziehungen zu führen. Außer den Schreinen gibt es noch Überwachungskameras und Tresore sowie die oben erwähnten Statuen der zwölf Tiere des chinesischen Kalenders zu entdecken. Die Überwachungskameras kann man hacken, um dem HKPD, der Polizei von Hongkong, Hinweise zur Ergreifung von Drogendealern zu geben. Die Tresore, die meist von Schlägern bewacht werden, enthalten Geld und manchmal Kleidungsstücke, die man verwenden kann.

Kleidung und Accessoires sind nützlich, um sich dem eigenen Geschmack entsprechend durch die Stadt zu bewegen. Außerdem verschaffen sie dem Protagonisten, so er denn die richtige Kombination trägt, Boni auf Nahkampfschaden, Triaden- oder Polizei-XP sowie unter Umständen mehr Ansehenszuwachs. Es gibt auch Sets, die die Preise in Geschäften senken oder Wei dabei helfen, der Polizei schneller zu entkommen (Penner-Outfit). U. a. gibt es das sogenannte Ladykiller-Set, das ein wenig an den Stil von Barney Stinson aus der Serie "How I Met Your Mother" erinnert und Wei darin unterstützt, "den Frauen den Kopf zu verdrehen".

Made in China

Die Grafik des Spiels überzeugt. Absolut herausragend sind das Art-Design und die Umsetzung der Stadt Hongkong. Die Bankenviertel und der Hafen wirken ebenso authentisch wie die Hinterhöfe und engen Gassen. Wenn man vom Victoria Peak, dem höchsten Berg Hongkongs, auf die Neonreklamen der Stadt herabblickt, fühlt man die Atmosphäre der Metropole, wie man sie aus diversen Filmen mit Jackie Chan und Bruce Lee kennt. Durch die grandios animierten Martial-Arts-Einlagen und die ebenso gut gestalteten Zwischensequenzen wird dieser Eindruck verstärkt. Ein Manko sind die Texturen des Spiels, die, insbesondere aus der Nähe betrachtet, zu grob und pixelig wirken. Steam schafft hier Abhilfe über kostenlos erhältlichen DLC.

Der Sound des Spiels ist ebenfalls nahezu einwandfrei. Die durchweg englisch- und chinesischsprachigen Dialoge sind hervorragend vertont, die Sprecher sind professionell und zumeist sehr passend. Negativ ist, dass einige Zwischensequenzen nicht richtig abgemischt sind, sodass eine Person, die in einem Satz laut neben Wei spricht, plötzlich sehr viel leiser ist, ohne dass sich die Stimmlage ändert. Die Radiosender sind abwechslungsreich und durch die Sprachbarriere zum Chinesischen fällt es nicht auf, ob generische und wiederholende Ansagen kommen.

Kommen wir zu guter Letzt zur Steuerung: Das Fahrverhalten der Autos und Motorräder im Linksverkehr Hongkongs ist sehr unrealistisch, das Spielgefühl wird davon jedoch nicht negativ beeinflusst. Die Kameraführung ist gerade in engen Passagen nicht optimal, wodurch das Spiel manchmal unnötig erschwert wird. Generell ist die Steuerung mit dem Gamepad zu empfehlen, da die Nutzung von Maus und Tastatur zwar ordentlich und präzise ist, aber die Tastenbelegung gerade in den verschiedenen Menüs nicht konsequent durchdacht wurde.


Fazit

Die größte Stärke von "Sleeping Dogs" ist, ganz im Sinne von Kung-Fu-Meister Sifu, die Balance aus Story und offener Welt. Bei "Sleeping Dogs" sind die Nebenmissionen so gut in die Hauptgeschichte eingebaut, dass man das Ziel - die Zerschlagung der Triaden - nie aus den Augen verliert, wodurch das Spiel für uns eine ernst zu nehmende Alternative zu "GTA IV" darstellt. Die sehr explizite jedoch nicht orgiastische Gewaltdarstellung von "Sleeping Dogs" könnte zarten Gemütern den Spielspaß vermiesen, jedoch sind die brutalsten Szenen, die Umgebungskills, in der deutschen Version nicht enthalten. Wenn man dann noch das Setting mag, ist dieser Titel im Grunde ein Pflichtkauf, den man nicht bereuen wird, sofern man ein Gamepad besitzt. So hat Square Enix das beste Spiel der "True Crime"-Reihe gemacht, auch wenn es offiziell nicht dazugehört.

(10.12.2012)



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