Getting Up: Contents under Pressure

Getting Up: Contents under Pressure

(Atari)

geschrieben von Christian Graser

 

Sie sind überall zu finden - vor allem in Großstädten. Sie "zieren" Bushäuschen, U-Bahnen, Hauswände, Mauern, Brückenpfeiler und viele weitere Flächen, auf denen sie vom Besitzer nicht gern gesehen werden. Die Rede ist von Graffitis. Atari gibt Ihnen die Gelegenheit, in die Haut eines ambitionierten Sprayers zu schlüpfen, ohne Ärger mit dem Gesetz zu riskieren. In Zusammenarbeit mit Hip-Hop-Mode-Designer Marc Ecko entstand der interessante Genre-Mix "Getting Up: Contents under Pressure".

Es begann in New Radius

New Radius ist eine fiktive, heruntergekommene Metropole, deren neugewählter Bürgermeister versprochen hat, die Stadt in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Auf dem Weg dahin ist ihm jedes Mittel recht, so dass in den Straßen Überwachungskameras installiert werden und schwer bewaffnete, vermummte Polizisten durch Hintergassen und U-Bahn-Tunnels streifen, um den Kampf gegen jugendliche Kriminelle und Sprayer aufzunehmen. Sie übernehmen die Rolle von Trane, einem angehenden Graffiti-Künstler, der schnell herausfindet, dass das Stadtoberhaupt mit seiner Armee und seiner knallharten Linie weitaus mehr plant als nur das Säubern besprühter Waggons und die Reduzierung der Kriminalität. Trane ist ein Einzelgänger, der sich als Sprayer einen Namen machen will und deshalb häufig in Konflikt mit den Cops und rivalisierenden Banden gerät. Gesteuert wird das Spiel mit Maus und Tastatur, Ihren Charakter sehen Sie, wie in den neuesten Teilen der GTA-Serie, stets von hinten. Das Spiel begleitet Sie auf Ihren ersten Schritten mit hilfreichen Tipps, so dass Sie sich schnell zurechtfinden.

Wer nicht hören will, muss fühlen

Bewaffnet mit Markierstift und Sprühdose macht sich Trane auf die Suche nach geeigneten Plätzen, um mit seinen Tags (kleine Graffitis) erste Spuren zu hinterlassen. Da in seinem Viertel die Gang "Vandals of New Radius" den Ton angibt, kommt es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten mit deren Mitgliedern, die Sie in bester Beat 'em-Up-Manier beseitigen. Das Spiel bietet ein umfangreiches Repertoire an Schlägen, Tritten, Griffen und Würfen, die Sie durch geschicktes Aneinanderreihen zu schlagkräftigen Combos zusammenfügen können. Das Ganze geht mit Maus und Tastatur etwas ungewohnt von der Hand, so dass konsolengewöhnte Spieler lieber gleich zum Gamepad greifen. Bei den Kämpfen gegen verfeindete Gangs oder die allgegenwärtigen Polizisten dürfen Sie verschiedenste Gegenstände als Waffe benutzen, und damit munter auf Ihre Widersacher eindreschen. Baseballschläger, Holzbretter, Sprühdosen, Eisenstangen und Mülltonnendeckel sind nur ein kleiner Teil des vielfältigen Arsenals.

Gehen die Kämpfe gegen einen Gegner noch leicht von der Hand, bedarf es gegen größere Gruppen schon etwas Taktik, um nicht allzu schnell das Zeitliche zu segnen. Bei Gruppen von Polizisten ist es meist sogar geschickter, diesen gänzlich aus dem Weg zu gehen, da sie in manchen Levels leider ständig neu generiert werden. Um Sie mit den vielen Angriffsmöglichkeiten nicht zu überfordern, baut das Spiel immer wieder kleine Lernziele ein, bei denen Sie beispielsweise üben, einen Gegner zu umklammern und dann mit dem Kopf voraus gegen eine Mauer zu schmettern. Erst wenn Sie diese Lernziele gemeistert haben, erscheinen die Lebensbalken und Sie und Ihre Gegner nehmen Schaden. So lernt man Schritt für Schritt neue Moves; deutlich eleganter, als alles nur im (übrigens sehr ansprechenden) Handbuch nachzulesen.

Zart besaitete Naturen werden an "Getting Up: Contents under Pressure" nicht viel Freude haben, da das Spiel Gewaltdarstellungen nicht wie in GTA mit Humor darstellt, sondern ernst und cool wirken will - ein Schuss, der an manchen Stellen nach hinten losgeht. Es mag zwar realistisch sein, dass am Boden liegende Gegner durch einen Tritt zwischen die Beine besonders viel Schaden nehmen, oder Sie Widersacher durch einen gezielten Wurf in die brennende Tonne eines Obdachlosen beseitigen können - aber für den Spielspaß förderlich ist es nicht. Auch die Sprüche, die die Kontrahenten während den Prügeleien von sich geben, sind nicht für Kinderohren bestimmt und machen sich vermutlich auch vor der Partnerin nicht gut. Ob es wirklich notwendig ist, in Kämpfen ständig die Worte "Wichser", "Arschficker" sowie sämtliche Varianten des Wortes mit "F" zu wiederholen, oder ob es die ohnehin dummen Sprüche wie "Darf ich bekannt machen: Meine Faust - dein Gesicht!" nicht auch getan hätten, muss jeder für sich entscheiden. Zweifelsfrei sehr stimmungsvoll ist hingegen das fast vollständig zerlegbare Inventar vieler Schauplätze, deren Bruchstücke sich oftmals auch wieder als Waffe verwenden lassen. Im letzten Level jedes der elf Kapitel wartet übrigens ein besonders schwerer Brocken auf seine Abreibung.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Prügeleien sind jedoch nur die halbe Miete, wenn man es zu einem erfolgreichen Sprayer bringen will. Deutlich wichtiger ist der eigene Ruf, den sich Trane mit Ihrer Hilfe erarbeiten will. Deshalb ist es wichtig, viele Graffitis zu hinterlassen, am besten besonders schöne, die sogar die Bezeichnung Kunstwerke verdienen, und diese auch an Stellen anzubringen, an denen sie von einer großen Anzahl Menschen gesehen werden können. Durch seine Intuition (ein Druck auf die Taste F) erkennt Trane besonders geeignete Stellen, an denen es sich lohnt, solche Bilder anzubringen. Im Intuitions-Modus können Sie die Kamera frei um den Helden drehen und geeignete Flächen werden durch ein auffälliges "X" gekennzeichnet. An diesen "Sweet Spots" können Sie die schönen "Pieces" anbringen, normale "Freeform-Tags" (Schriftzüge mit Tranes Namen) dürfen Sie überall hinterlassen.

Das Anbringen der Pieces ist ein kleines, sehr nettes, Spiel im Spiel. Unter Zeitdruck müssen Sie mit der Maus eine Schablone ausmalen. Bleiben Sie zu lange an einer Stelle, so bilden sich Tropfen, die das Graffiti verschmieren und zu Punktabzug führen. Je nachdem, ob Sie schnell genug und fehlerfrei gearbeitet haben, erhalten Sie mehr oder weniger Erfahrungspunkte, durch die Boni wie Hintergrundmaterial, Konzeptzeichnungen oder neue Moves für die Kämpfe frei geschaltet werden. Damit Sie nicht immer die gleichen Pieces sprühen müssen, stellen Sie vor jeder Mission ihr individuelles Black Book aus zahllosen Tags und Bildern zusammen, von dem Sie dann die Werke an die Wand übertragen können. Während Trane vom Toy (Anfänger) zu einem immer besseren Sprayer wird, erhalten Sie regelmäßig "Tuning" für Ihre Sprühdose, beispielsweise durch höheren Dosendruck, Schablonen, Walzen oder verschiedene Sticker.

Um Ihre Werke einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, empfiehlt es sich, besonders hoch gelegene oder gefährliche Stellen zu "bomben" (mit einem Graffiti versehen). Da diese nicht ohne weiteres zu erreichen sind, ist Trane beim Prinz von Persien in die Lehre gegangen und hat sich dessen akrobatische Bewegungen angeeignet. Er klettert an Strommasten und Dachrinnen empor, balanciert auf schmalen Streben, hangelt sich an Simsen entlang, springt von Wand zu Wand und ist leidenschaftlicher U-Bahn-Surfer. Durch dieses umfangreiche Repertoire erreichen Sie mit ihm auch entlegene Stellen, wo Geheimnisse wie Pieces bekannter Graffiti-Künstler versteckt sind oder kleine Aufgaben auf Sie warten.

Du bist Hip-Hop

Um aus "Getting Up: Contents under Pressure" ein Trendspiel für Hip-Hopper und Sprayer zu machen, konnten 56 "Graffiti-Legenden" gewonnen werden, die man teilweise im Spiel trifft oder deren Werke es zu bestaunen gibt. Einschlägige Bands wurden ebenso engagiert, wie der Musiker Afrob, der Trane seine Stimme leiht. Um die Kosten für diese Namen zu finanzieren, setzt man sehr stark auf Werbung im Spiel. Alle naselang trifft man auf das Logo der Modemarke "ecko unltd.", die dem Mit-Entwickler Marc Ecko gehört. Daneben stolpern Sie in jedem Level über mehrere Apple-iPods, Nokia-Handys und Montana-Spraydosen. Schade, dass diese Einnahmen nicht genutzt wurden, um dem Spiel die Konsolenkrankheiten zu nehmen. So müssen Sie leider auf Mausunterstützung in den Menüs verzichten, lange Ladezeiten hinnehmen und für jeden Level viel Zeit einplanen, da das Spiel zwar zwischendurch Kontrollpunkte speichert, Sie Ihren Spielstand aber nur zwischen den Missionen sichern dürfen.

Jetzt gibt’s was auf die Ohren

Auch der Grafik merkt man an, dass das Spiel gleichzeitig für Konsole und PC entwickelt wurde. Die sehr schönen Texturen verwaschen, wenn man sie aus der Nähe betrachtet, Kantenglättung wird ebenso wenig unterstützt wie eine Auflösung jenseits von 1024 x 768 Bildpunkten und der Kameraführung merkt man an, dass sie für Gamepads konzipiert ist. Trotz dieser kleinen Mängel ist das Spiel optisch sehr ansprechend, was vor allem an den farbenfrohen und abwechslungsreichen Graffitis liegt. Diese sind größtenteils richtige Kunstwerke und kein Vergleich zu den bekannten Schmierereien aus der Realität. Tranes Animationen sind abwechslungsreich und detailverliebt, beim Balancieren auf Balken scheint er beispielsweise ab und an das Gleichgewicht zu verlieren und wenn er sich von hinten an Gegner anschleicht, zieht er sich die Kapuze über den Kopf. Die Bewegungen in den Kämpfen können zwar nicht mit denen aktueller Konsolen-Beat 'em Ups mithalten, sind aber trotzdem vielfältig und wissen zu gefallen.

An der akustischen Untermalung dieses komplett eingedeutschten Spiels werden sich die Geister scheiden. Wer auf Hip-Hop steht, wird den Sound lieben, alle anderen haben die Möglichkeit, die Hintergrundmusik, die von in der Szene bekannten Stars wie Talib Kweli und Eric B. & Rakim produziert wurde, leiser oder auszuschalten. Die Hauptfigur Trane wird von Afrob gesprochen, dessen Kommentare jedoch oftmals unmotiviert oder unpassend klingen. Die verbale Gewalt mag ebenso wie viele Beleidigungen und Kraftausdrücke zum allgemeinen Sprachgebrauch des Hip-Hop-Milieus gehören, wirkt im Spiel aber häufig übertrieben und deplatziert. Die Soundeffekte dagegen sind sehr gut gelungen, wilde Kampflaute fügen sich ebenso harmonisch in den Titel ein wie die typischen Geräusche von Sprühdose und Markierstiften, die Ihnen bald sehr vertraut klingen werden.

 

Entwickler: The Collective
Publisher: Atari
Genre: 3D-Action
Releasedate: Bereits erhältlich
Homepage: Getting Up
Preis: 49,99 €
Altersfreigabe: Freigegeben ab 16 Jahren gemäß §14 JuSchG

Fazit

   "Getting Up: Contents under Pressure" ist ein toller Genremix aus Beat 'em Up, Prince of Persia-Akrobatik und GTA-Feeling, gepaart mit dem Lifestyle der Hip-Hop-Szene und einem Hauch Half-Life²-Hintergrundgeschichte. Es macht sehr viel Spaß, mit Trane Mitglieder verfeindeter Gangs zu vermöbeln, um anschließend deren beste Graffitis zu "bomben". Actioneinlagen wie das Sprayen von großen Pieces auf die Außenseite einer fahrenden U-Bahn sorgen ebenso für Abwechslung wie das Erkunden der Levels, um auch das letzte Geheimnis zu finden. Durch die spannende Hintergrundgeschichte und die vielen unterschiedlichen Missionen ist Langzeitmotivation garantiert, und Trane ist endlich mal wieder ein Held mit Charakter, bei dessen Entwicklung man mitfiebert. Negativ fallen lediglich die schwache technische Umsetzung, die verbalen Entgleisungen und die teilweise peinliche "Coolness" der Charaktere auf. Nichtsdestotrotz ziehe ich gerne wieder mit Trane um die Häuser, immer auf der Suche nach dem idealen Platz für meine Graffitis und einer Möglichkeit, mit dem Bürgermeister abzurechnen. (13.03.2006)


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