Sengoku

Sengoku

(Koch Media)

geschrieben von Simon Beyer

 

     
 

Als "Sengoku" am 28.02.2011 offiziell angekündigt wurde, war die Reaktion der Spielergemeinde gemischt: Gerade hatte die vierte Erweiterung zu "Europa Universalis 3", genannt "Divine Wind", mit einer höchst ahistorischen und - für viele weit schlimmer - übersimplifizierten Repräsentation des japanischen Kaiserreiches die Massen in Aufruhr versetzt; gleichzeitig war der Hype über den in Arbeit befindlichen Nachfolger von "Crusader Kings" noch lange nicht im Abflauen begriffen - da sollte ein Spiel daherkommen, das ausgerechnet in Japan spielte und dessen Fokus überdies - ebenso wie der von "Crusader Kings 2" - auf den Charakteren der Epoche liegen sollte, anstatt wie sonst im Genre üblich auf ganzen Staaten oder zumindest staatsähnlichen Entitäten.

Sengoku Jidai - "Zeit mit viel Krieg“ ... oder so

Der Argwohn wich rasch vorsichtigem und zusehends stärker werdendem Optimismus, als mehr und mehr der Spielmechaniken dem kritisch gewordenen Publikum vorgestellt wurden. In der Tat ist "Sengoku" neben seiner Rolle als Lückenfüller bis zum Erscheinen des obengenannten "Crusader Kings 2" und als Beweis vonseiten Paradox, dass sie sehr wohl in der Lage wären, dem Fernen Osten gerecht zu werden, auch ein Experimentierplatz für neue Spielelemente, die in zukünftigen Paradox-Titeln einige der alteingesessenen Mechaniken der Clausewitz-Engine ergänzen oder sogar verdrängen könnten.

Genug der Zukunftsmusik, jetzt soll wieder über "Sengoku" gesprochen werden: Es erinnert in einiger Hinsicht an die alten Klassiker der Strategiesparte, dahin gehend, dass es simpel ist - aber nicht einfach. In der Tat besteht für die Liebhaber großer Komplexität die sehr reale Gefahr, dass ihnen "Sengoku" nicht zusprechen wird. Gleichzeitig mag die große Zahl der Variablen, die der Spieler zu jeder Zeit im Auge behalten muss sowie die Notwendigkeit von Langzeitplanung und Geduld den Großteil der weniger bedachten Spielerschaft verschrecken. "Casual Gamer" wiederum sollten besser sofort das Weite suchen: Enttäuschung garantiert.

Nun sollte vielleicht noch erwähnt werden, für welche Art von Spieler "Sengoku" eine ideale Investition darstellt. Geben muss es solch eine Art ja, sonst hätte sich die Entwicklung eines Spieles mit so eingeschränkter Klientel schlicht und einfach nicht gelohnt. "Sengoku" fordert Ambitionen - je mehr desto besser: In einem einhundertsiebzig Jahre langen Bürgerkrieg kann man nicht einfach mal so vor sich hin siedeln. Wen Ungewissheit nicht davon abschreckt, über lange Zeiträume hinweg Pläne zu schmieden und unermüdlich auf deren Umsetzung hinzuarbeiten, ohne dass er unvermittelt auftretende Opportunitäten verschmähen wollte, den wird "Sengoku" vielleicht sogar begeistern. Spieler, denen selbst große Niederlagen nichts ausmachen, solange sich stets die Möglichkeit eines "Comebacks" bietet, haben beste Voraussetzungen, an "Sengoku" Vergnügen zu finden.

Join the Army, they said. It will be fun, they said.

Schauen wir uns das Spiel nun etwas näher an: "Sengoku" basiert wie "Europa Universalis 3", "Hearts of Iron 3" und "Victoria 2" auf der Clausewitz-Engine. Entsprechend teilt es den grundlegenden Spielverlauf dieser Titel: Runden laufen automatisch in einer von fünf Geschwindigkeitsstufen ab. Wie in "Europa Universalis 3" und "Victoria 2" ist die kleinste Zeiteinheit der Tag, jede Aktion benötigt eine Anzahl von Tagen, um vonstattenzugehen; pausiert werden kann jederzeit mit der Leertaste. Das Spielfeld ist in Provinzen aufgeteilt, hier "Kori" genannt, welche wiederum in Gebieten, hier "Kunis", zusammengefasst sind. Anders als in den bisherigen Titeln gibt es weder Regionen, denen Gebiete zugehören, noch das Konzept von Kernprovinzen, welche von besonderer Wichtigkeit für den Besitzer sind. Japan ist Japan und alle Spieler sind Japaner in einem Bürgerkrieg, womit diese Konzepte, die für die Interaktion von Staaten über Länder und Kontinente hinweg von Bedeutung waren, hier schlicht keine Anwendung finden können. Die Spieler identifizieren sich mit einem der landbesitzenden Charaktere im Spiel; ihr Ziel ist die Eroberung Japans oder die Wiederherstellung des Shogunats, einer clanübergreifenden Autoritätsposition, unter ihrer Führung. Dazu wirken sie auf ihre Untergebenen ein und versuchen, mit Gleich- oder Höhergestellten zu verhandeln. Wenn mit einem Charakter nicht verhandelt werden will oder kann, mögen Intrigen mit anderen ihm feindlich Gesinnten oder Sabotage und Verunglimpfung durch angeheuerte Ninjas den erwünschten Effekt haben. Hat man es eilig oder winkt eine besondere Gelegenheit, darf es auch gerne ein infam gedungener Mord sein.

Wer nun gleich-, höher-, niedriger gestellt ist, bestimmt nicht weltliche oder geistliche Macht, sondern allein der soziale Status der Charaktere. Der geringste bedeutsame Titel ist der des Kokujin, eines direkten Besitzers zumindest einer Provinz. Über ihm steht der Daimyo, der Kontrolle über ein ganzes Gebiet hat - was durchaus nicht heißen muss, dass ihm auch alle oder überhaupt eine Provinz in diesem Gebiet gehört. Über diesem steht der Clanführer, das gewählte Oberhaupt einer der politischen Entitäten in diesem Spiel, eines Clans. Nun kann es durchaus vorkommen, dass ein Kokujin fünf Provinzen besitzt und damit wirtschaftlich und militärisch dem Daimyo nebenan haushoch überlegen ist, welcher nur eine Provinz direkt kontrolliert und in jeder Hinsicht auf seine Vasallen angewiesen ist, die sich vielleicht längst mit fraglichem Kokujin gegen ihn verschworen haben.

Für die Spielmechanik bedeutet dies, dass es drei Ebenen der Kommunikation gibt: Diplomatie dient in erster Linie harmlosen oder defensiven Zwecken, zum Beispiel dem Arrangieren von Hochzeiten, dem Austausch von Geiseln zur gegenseitigen Friedensversicherung, dem Versand von Geschenken und der Vergabe oder Wegnahme von Provinzen. Ehrlose Charaktere können überdies zu "Seppuku", einem rituellen Selbstmord, angehalten werden, was eine legale und billigere Alternative zum Attentat darstellt, aber bei Weitem nicht so flexibel anwendbar ist.

Intrigen werden dem ambitionierteren Teil der zwischenherrscherlichen Korrespondenz gerecht: Indem man Charaktere in Verschwörungen verwickelt oder sich selbst von anderen darin verwickeln lässt, lassen sich mächtige Allianzen gegen all jene schmieden, die zu viel Macht und zu wenige Freunde haben. Solche Allianzen haben freilich keinerlei Bestand über den unmittelbaren Selbstzweck hinaus und es liegt vollkommen im Bereich des Möglichen, sich gegen einen Charakter zu verschwören, mit dem man sich zur selben Zeit gegen einen Dritten verschworen hat.

Die letzte Form der Kommunikation erfolgt mittels der bereits angesprochenen Ninjas und stellt eine eher unfeine Art zu reden dar: Ninjas können Charaktere diffamieren, entführen - oder ums Leben bringen, haben aber nicht immer Erfolg und werden zuweilen auch gefasst. In diesem Moment ist die Beziehung mit dem Ziel des Anschlages natürlich gründlich ruiniert ... was beizeiten die eigentliche Absicht hinter der Unternehmung gewesen sein mag.

Die Spielerfahrung, die aus diesen Elementen erwächst, ist von einer Art, an die man sich durchaus erst gewöhnen muss, um sie lieb zu gewinnen: Die Fähigkeit, im Verborgenen am Sturz der Mächtigen zu feilen, welche von der K. I. aggressiv genutzt wird, sorgt für eine immerwährende bohrende Unsicherheit, die mit der eigenen Macht stetig zunimmt. Oder auch nicht mit der eigenen Macht. Der haushoch überlegene Nachbar, der den kümmerlich kauernden Spielerclan früher oder später unterwerfen würde, mag am nächsten Tag unvermittelt in seinen ganz eigenen privaten Bürgerkrieg verstrickt sein, aus dem man als lachender Dritter Profit schlagen kann. Er mag aber auch trotz einer Vielzahl interner Zwiste in einem Stück bleiben, weil sich die potenziellen Putschisten untereinander nicht ausreichend ausstehen können, um für den Moment gemeinsame Sache zu machen. Nimmt man aber in der Zwischenzeit ein anderes, schwächeres Ziel aufs Korn, bleibt vielleicht im Augenblick der goldenen Gelegenheit nicht genügend eigene Ehrenhaftigkeit übrig, den reifen Apfel auch tatsächlich vom Stamme zu pflücken. Hat sich die Reputation dann aber erst weit genug erholt, dass man mitmischen könnte, ist der Feind vielleicht längst wieder auf dem Damm und Vormarsch und die Gelegenheit vertan. Die Nächste erlebt man dann vielleicht nicht mehr. Wartet man hingegen zu lange, hat man vielleicht schlicht und einfach nicht die militärische Schlagkraft, das Leid des Nachbarn zur Steigerung des eigenen Wohlgefühles auszunutzen. Zwar kann man sich durchaus noch als geringster Vasal des mächtigsten Clans an die Spitze mogeln, doch benötigt man dafür eines im Übermaß: Zeit. Eben die Zeit, die der noch-rechtmäßige Chef vielleicht nutzt, um selbst den Shogun-Titel zu ergreifen und bis zum Sieg zu halten. Sengoku ist zurzeit das Spiel von Paradox Interactive, in dem sich die Spielsituation am schnellsten und umfassendsten ändern kann. Gleichzeitig ist es auch das Spiel, in dem sie sich am wenigsten ändern muss.

Who told you, I'd be easily distrac- ... Ooh, shiny!

Grafik war lange Zeit Paradox' zweitgrößte Schwäche, gleich nach der Geräuschuntermalung. Kein Paradox-Spiel sieht zwar in irgendeiner Form hässlich aus - was man nicht immer vom Klang behaupten kann - aber als "cutting edge" kann man das Erscheinungsbild eigentlich nur bezeichnen, wenn man die andere Seite meint. In dieser Hinsicht ist "Sengoku" ein großer Sprung nach vorn: Die japanischen Inseln liegen in einem wunderschön gerenderten - aber immer noch alltags gleichmäßig sanften - Ozean. Höhen und Tiefen der Landmasse sind deutlich ausgeprägt - wenngleich nicht annähernd realistisch - und auch unter den diversen eingefärbten Kartenmodi deutlich zu erkennen. Aus der relativ großen Höhe, in der sich die Kamera in aller Regel befinden wird, um den Überblick zu bewahren, sieht die Bewaldung durchaus ansprechend aus: Um die Bäume als die relativ hässlichen grünen Kleckse zu entlarven, die sie eigentlich sind, muss man in eine Nähe heranzoomen, aus der das Spiel ohnehin nicht mehr spielbar ist. Mangels Wetter und mit dem Tag als kleinster Zeiteinheit entfallen natürlich Spielereien wie Wolkenberge oder Tag-/Nachtwechsel.

"Sengoku" macht allerdings keine Anstalten, seinen Brettspielcharakter zu verbergen: Zwei verschiedene Modelle für Armeen verfügen über drei verschiedene Animationen, deren Frames man im Dutzend abzählen kann. Wieder gilt allerdings: Wer nahe genug herangezoomt hat, um sich davon gestört zu fühlen, vernachlässigt zu dieser Zeit in höchstem Maße das Spielgeschehen. In den meisten Fällen wird der geneigte Spieler schlicht zu beschäftigt sein, als dass er überhaupt bemerken könnte, dass die Armeen Modelle haben - ich selbst habe es erst, ich gebe es zu, mitbekommen, als ich versuchsweise so nahe wie möglich an die Karte heran wollte; das Spiel währenddessen pausiert, natürlich.

Klanglich fällt auf, dass "Sengoku" ein sehr stilles Spiel ist: Die Hintergrundmusik ist, wie in den übrigen Clausewitz-Spielen, in sehr geringer Auswahl vorhanden, aber insofern überlegen, dass sie zum ersten Mal auch nach längerem Zuhören nicht übermäßig auf die Nerven fällt - man fängt schlicht an, sie zu überhören. Außer der Musik sind Klänge im Spiel fast ausschließlich auf Steuergeräusche - so etwa beim Anklicken einer Schaltfläche oder beim Eintreten eines wichtigen Ereignisses - beschränkt. So gibt es zum Beispiel erstmalig keinerlei Kampfgeräusche zu hören.

Für mich ist das Spiel nichts. Ich bin einer dieser Spieler, für die es nicht komplex genug sein kann. Gleichzeitig empfinde ich großes Unbehagen über die fortwährende Unwissenheit, in der mich das Intrigensystem lässt. Sicherlich wird es auch Leute geben, denen diese neue Form der Unsicherheit erst den richtigen Kick gibt.

Über das Erscheinungsbild lässt sich streiten: Ich selbst finde es bereits zu opulent, aber angesichts der Leichtgewichtigkeit des Spieles im Vergleich mit seinen Verwandten "Victoria 2" und "Europa Universalis 3" ist dies definitiv entschuldbar: Beide kriechen auf meinem Schoßrechner, "Sengoku" - fliegt.

Nun mag sich der eine oder andere fragen, ob das Spiel denn nicht auch echte negative Seiten hätte, nachdem ich davon ja kaum etwas erwähnt habe. Genau dies ist auch die größte negative Eigenschaft: Viel mehr als ich hier erwähnt habe, gibt es nicht zu sehen. Heiratspolitik und Söldner kommen hinzu, Charaktereigenschaften und -attribute, Provinzverbesserungen, dann ist Schluss. Und keiner dieser Punkte ist wirklich erläuterungswürdig, außer vielleicht der Umstand, dass ein männlicher Charakter bis zu vier Ehefrauen haben kann. Mangels expliziter Grafik ist auch das nur mäßig interessant. Es gibt auch einige Bugs, aber ich habe mit gutem Grund keinen davon erwähnt, denn jeder einzelne, der mir aufgefallen war, wurde bereits für den nächsten Patch des Spiels (Version 1.02, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Reviews bereits erschienen) als berichtigt gemeldet.

Potenzial hat das Spiel jedenfalls, ein Dauerbrenner wie "Master of Orion" zu werden und aus genau den gleichen Gründen wie dieses: simples Design, sich schnell entwickelnde Spielsituation, auf das Wesentliche konzentrierte Spielmechanik, kein definitiver Weg zum Sieg.

(20.10.2011)

 


Fazit

- Soll i aus meim Haus raus? Soll i aus meim Haus nit raus?


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