Tropico 4

Tropico 4

(Kalypso)

geschrieben von Stephan Kusch

 

 
Entwickler: Haemimont Games
Publisher: Kalypso Media
Genre: Wirtschaftssimulation
Releasedate: Bereits erhältlich
Homepage: World of Tropico
Preis: ca. 40 €
Altersfreigabe: Freigegeben ab 12 Jahren gemäß §14 JuSchG

Nachdem vor Kurzem die Demo-Fassung einer ersten Prüfung unterworfen wurde, ist nun die Vollversion von "Tropico 4" an der Reihe, ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen. Eines soll hier schon verraten werden: Die Demo unterscheidet sich spielerisch kaum vom finalen Produkt.

Sandstrand, Palmen, Diktatoren

"Tropico 4" ist eine klassische Wirtschaftssimulation mit karibischem Szenario. Der Kampagnen-Einstieg beginnt mit einem kurzen Film in Spielgrafik, der den Spieler mit einer ansehnlichen Kamerafahrt über eine tropische Insel in die Rolle von El Presidente, den künftigen Herrscher über das Insel-Archipel "Tropico", versetzt. Daraufhin - sowie vor jeder weiteren Mission – gibt es die Möglichkeit, sich für die äußeren und inneren Werte des künftigen Avatars zu entscheiden. Dabei stehen vorgefertigte, realen Vorbildern nachempfundene Persönlichkeiten und ebenso frei erfundene zur Verfügung, allerdings darf auch ein Stellvertreter selbst kreiert werden. Die Kleiderauswahl ist begrenzt und reicht vom Typ Gangster über den Militaristen bis hin zum Hippie. Entscheidender sind persönlicher Hintergrund, Aufstieg zur Macht und drei mögliche Charaktereigenschaften. Hier werden die ersten humoristischen Karten ausgespielt, denn neben "Tourette-Syndrom", das nach jeder Wahlrede das Ansehen bei einer beliebigen Fraktion erheblich senkt, dafür aber jährlich Pay-per-View-Gewinne einbringt, stehen zum Beispiel noch "Kleptomane" oder "Hypochonder" zur Auswahl.

Da Macht und Würden bekanntlich nicht vom Himmel fallen, besteht El Presidentes Aufgabe nun darin, alle Missionen der Kampagne, dargestellt durch je eine Insel, erfolgreich zu absolvieren. Bei der generellen Missionsgestaltung gelingt es dem Spiel, durch sorgsam gestaltete Hauptmissionsziele und Beeinflussung von Handelspreisen gezielt die verschiedenen Aspekte der tropicanischen Wirtschaft zu differenzieren. So gilt es auf der ersten Insel vornehmlich, landwirtschaftliche Produkte ins Ausland zu exportieren, auf der zweiten liegt der Fokus im Bergbau und auf der dritten im Tourismus; im weiteren Spielverlauf ist die ausgewogene Vereinigung aller Möglichkeiten für den wirtschaftlichen Erfolg gefordert. Nebenbei existiert eine Fülle von Nebenaufträgen, die sowohl von den ausländischen Mächten USA, UdSSR, Europa, China und dem Mittleren Osten als auch von den tropicanischen Fraktionen selbst, darunter beispielsweise Umweltschützer, Kommunisten und Religiöse, vergeben werden. Zumeist fordern diese den Bau eines bestimmten Gebäudes oder den Export großer Mengen einer Ware. Leider wiederholen sich viele dieser Nebenaufträge in jeder Mission, so dass in dieser Hinsicht nur wenige Überraschungen auf den Spieler warten.

Jede Fraktion wird durch einen Sprecher vertreten, der in Form von Mitteilungen, Forderungen und Aufträgen mit El Presidente in Kontakt tritt. Dabei lassen sowohl das überzeichnete Äußere als auch Aussprache und Stimme nicht an den Absichten und Hintergründen dieser Vertreter zweifeln. Für die Nationalisten spricht zum Beispiel "El Diablo", ein Skinhead mit markantem S-Fehler, für die Europäer ein blasierter britischer Lord und für die UdSSR eine übertrieben gut aussehende Geheimagentin namens Sascha. Alle diese Figuren tragen entscheidend zur gelungenen Atmosphäre einer skurril aufgearbeiteten Nachkriegszeit mit allen zu bedienenden Klischees bei. An einer Stelle geht diese Lust am Klischee jedoch zu weit: Die eigene Bevölkerung kann viele Berufe nur mit entsprechender schulischer Ausbildung annehmen, was in Ordnung ist; nicht in Ordnung allerdings ist, dass Platzanweiser im Varieté nur ungebildet und weiblich sein können, wohingegen Ärzte eine Hochschulausbildung vorweisen und männlich sein müssen. Dieses und noch viele andere Beispiele waren bereits 1950, dem Jahr des Spieleinstiegs, schon überholt.

Ernten, was wir sähen

Das Wirtschaftssystem in "Tropico 4" funktioniert weitestgehend nachvollziehbar und logisch. Die Eckpfeiler der tropicanischen Wirtschaft sind Landwirtschaft und Fischerei, Bergbau sowie das Bau- und Transportgewerbe. Zudem spielen noch Bildungswesen, Militär, staatliche Einrichtungen und Energiewirtschaft eine untergeordnete Rolle. Wie es sich für ein sozialistisches System gehört, werden alle Gehälter aus der Staatskasse gezahlt, die Hoheit über die Höhe der selben obliegt El Presidente, wahlweise für jeden einzelnen Betrieb, eine ganze Branche oder je nach Bildungsgrad. Auf diese Weise lassen sich gezielt unterversorgte Arbeitsstätten für künftige Arbeitnehmer attraktiv machen. Devisen werden klassisch über Export, Tourismus und die jährlichen Hilfszahlungen aus den USA und UdSSR, abhängig vom Beliebtheitsgrad, eingenommen. Dabei besteht an vielen Stellen die Möglichkeit, einen variierenden Betrag auf ein Nummernkonto in der Schweiz zu transferieren, dessen Kontostand der ausschlaggebende Wert für die Fähigkeiten von El Presidente ist.

Mit dem Ankurbeln der Wirtschaft auf Tropico entstehen typische Verkettungen: Am Beginn stehen die Bauarbeiter, die für den Bau eines jeden Gebäudes zuständig sind, also auch von Plantagen. Die Bauern einer solchen Zuckerrohrplantage produzieren fleißig Zucker, der zunächst als Rohstoff exportiert werden muss. Steht genügend Geld zur Verfügung, kann eine Rumdestillerie erbaut werden, die wiederum Arbeitsplätze schafft und wertvollen Rum als Handelsgut produziert. Sowohl Zucker als auch Rum müssen vom Ort ihrer Herstellung an den verarbeitenden Betrieb oder den Handelshafen transportiert werden, dies übernehmen die Lkw-Fahrer des Transportbüros vollautomatisch. Am Hafen selbst verladen die Hafenarbeiter schließlich alle Exportgüter auf die im Abstand von einigen Monaten wiederkehrenden Frachtschiffe. So gut dieses System in der Theorie funktioniert, hat es doch im Spiel einige Haken: Häufig kommt es zu Latenzen, wenn Arbeiter Feierabend machen und für eine ungewisse Zeit nicht zur Verfügung stehen – eine Einschätzung der Länge einer solchen Periode ist äußerst schwierig, da dafür eine betreffende Person durchgängig beobachtet werden müsste; dadurch verzögert sich so mancher Bau erheblich und stellt die Nerven des Spielers auf eine Geduldsprobe. Richtig ärgerlich und ein Anlass zum Haareraufen wird es aber dann, wenn zum Ankunftszeitpunkt eines Frachtschiffs alle Hafenarbeiter nach Hause gehen und die Waren im Wert von einigen Zehntausend Dollar, die das schon über drei Monate bestehende Staatsdefizit, das die Beziehungen zu den ausländischen Mächten empfindlich beeinträchtigt, hätten ausgleichen können, im Hafen liegen bleiben und der gesamte Vorgang mit der Meldung "Ein Frachtschiff konnte nicht beladen werden" quittiert wird.

Weitere Frustmomente entstehen dann, wenn eine Naturkatastrophe die Früchte harter Arbeit und dem Ausreizen der chronisch klammen Staatskasse zunichte macht, gefolgt von einer weiteren, die den Wirtschaftskreisläufen dann den Rest gibt. Hier hätte eine bessere Balance für weniger graue Haare sorgen können, zumal die Katastrophen absolut unglaubwürdig wirken: Der Tornado zum Beispiel zerstört grundsätzlich mindestens vier Gebäude und bewegt sich bis zu sechs Monate lang über einen minimalen, aber immer bebauten Teil der Insel. Während er wütet, können die Gebäude nicht wieder errichtet werden. Außerdem ist die Karibik nicht gerade bekannt für Tornados, sondern eher für Hurrikanes, die sich zudem bedeutend glaubwürdiger hätten umsetzen lassen. Oder der Vulkan: Zielsicher schlagen Magmabrocken in Wohnhäusern und Farmen ein und setzen diese in Brand, Flora und Fauna bedrohende Lava läuft jedoch nie aus dem Krater. Abschließend betrachtet hätten die Entwickler dieses neue Spielelement dem Spieler entweder ersparen oder es erheblich glaubwürdiger umsetzen können.

In der Karibik nichts Neues

Wie bereits im Preview angerissen, müssen die Unterschiede zum Vorgänger mit der Lupe gesucht werden. Neben den bereits erwähnten, eher missglückten Naturkatastrophen sind diese ein verfeinertes Wirtschaftssystem, die Fraktionsaufträge, einige neue Gebäude, die Einberufung von Ministern und ein leicht verbessertes Interface. Diese Änderungen hätten allerdings auch mit einem Add-on eingepflegt werden können. Die Integration von Facebook und Twitter, die es ermöglicht, die erzielten Erfolge der gesamten Menschheit mitzuteilen, soll hier unbewertet bleiben, da sie keinen spielerischen Mehrwert bietet.

Grafik/Sound

Technisch ist Tropico nicht herausragend, beinahe veraltet. Auf nahezu alle modernen Effekte wird verzichtet, selbst das Wasser ist frei von Shading und besteht lediglich aus mehreren Texturschichten. Das tut der Atmosphäre jedoch keinen Abbruch, da die grafische Gesamtkomposition ausgewogen ist. Der Schattenwurf von Gebäuden und Vegetation ist akkurat, folgt dem Verlauf der Sonne und wird auch noch in der höchsten Zoom-Stufe dargestellt. Bei den Texturen greift das Level of Detail weitaus aggressiver, gerade bei Felsen fällt beim Verkleinern der Ansicht der abrupte Übergang zwischen zwei Qualitätsstufen stark auf. Die Animationen der Tropicaner sind zwar nicht sehr vielfältig, dafür aber flüssig. An manchen Stellen kann es zu Clipping-Fehlern kommen, wenn zum Beispiel ein Schiff verzögert ablegt, während das nächste bereits in den Hafen einfährt. Beim Zoomen wird diesem Problem elegant durch Ausblenden von Strukturen vorgebeugt.

Die Hintergrundmusik ist qualitativ sehr gut und passt hervorragend zum Karibikgefühl. Die Auswahl an Musikstücken ist allerdings sehr überschaubar, nach einigen Stunden eifrigen Zuhörens sind des Spanischen mächtige Personen mit großer Wahrscheinlichkeit in der Lage, jeden Text mitzusingen. Die Stimmen der Berater und Funktionäre sind gut ausgewählt und gesprochen und lassen es nicht an Engagement vermissen. Vertont ist aber immer nur ein kleiner Teil der Mitteilungen, so dass jede Meldung durchgelesen werden muss – das ist nicht dramatisch, wirkt aber wie eine Sparmaßnahme.

Als Wirtschaftssimulation ist "Tropico 4" mit Einschränkungen gelungen, ich hoffe besonders, dass ein Patch die nervenden Naturkatastrophen entschärft, ebenso wie die großen Latenzen der Arbeiter. Für sich betrachtet ist "Tropico 4" also ein gutes Spiel, das sein Geld sicherlich wert ist. Bauchschmerzen bekomme ich aber dann, wenn ich an die im Vergleich zum Vorgänger nur marginalen Änderungen denke; die Demo kann hier ganz klar zu einer Kaufentscheidung beitragen – oder eben nicht.

Gesondert bemängeln möchte ich die Einstufung der USK. In "Tropico 4" ist es möglich – und es wird auch regelmäßig empfohlen – Gebrauch von der Geheimpolizei zu machen, also politische Gegner auszuschalten. Außerdem ist die Exekution in aller Öffentlichkeit, sozusagen als Warnung für alle Aufrührer, ein probates Mittel, die Bevölkerung zu unterdrücken. Dazu kommt noch das steinzeitliche Rollenbild, das über die Eignung von Mann und Frau für gewisse Berufe vermittelt wird. Meiner bescheidenen Meinung nach sind dies Faktoren, die eine Einstufung "ab zwölf" überdenkenswert machen.

(12.09.2011)

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