Madden NFL 08

(Electronic Arts)

geschrieben von Carlos Carvalho

Nur wenige Menschen schaffen es, so bekannt zu werden, dass ihr Name für den Verkauf von Spielserien verwendet wird. Zu dieser Liste gehören Sid Meier, Tony Hawks und der vor kurzem verstorbene Colin McRae. Eine weitere Franchise ist "Madden NFL", das den brutalen Sport American Football für PC und Konsolen umsetzt. Die zehnte Auflage dieses Titels erschien Ende August und zum ersten Mal hat das DLH-Team einen Blick auf die Serie geworfen.

Spielprinzip

Wer American Football nicht kennt, wird glauben, überzüchtete Halunken stehen auf einem Feld und versuchen mit möglichst viel Gewalt eine ovale Kugel über eine Linie zu tragen, ohne dabei über die eigenen Füße zu stolpern. Nichts wäre weiter von der Realität entfernt, als eine solche Annahme; bei dieser Sportart findet man vielmehr die am besten trainierten und spezialisierten Spieler aller Zeiten. Einer von ihnen hat nur die Aufgabe, den Ball durch das große weiße Tor zu kicken; andere Spieler müssen nichts anderes tun, als einen fliegenden Ball fangen und schützen; andere wiederum sind wahre Sprintmeister. Die wichtigste Stellung gehört dem Quarterback, der den Spielfluss überschauen und in den meisten Fällen einem seiner Mitspieler den Ball zuwerfen muss. Was überdies nicht fehlt, sind die Blocker, eine Reihe muskulöser Männer, die die gegnerische Mannschaft davon abhält, dem Quarterback oder einem der Sprinter den Ball wegzunehmen. Dadurch, dass American Football ein Kontaktsport ist, der zu häufigen Verletzungen führt, sieht er für Außenstehende recht chaotisch aus. Aber auch hier irren sich die meisten.

Die Aufgabe der Mannschaft mit dem Ball besteht darin, innerhalb von vier Versuchen das Leder um zehn Yards vorwärts zu bringen, ohne dass der Gegner es in die Hände bekommt. Sprünge, Läufe oder Würfe sind dabei erlaubt, doch das meiste spielt sich innerhalb weniger Meter um den Ball herum ab. Weil die 22 Spieler auf dem Feld so nah nebeneinanderstehen, fordert das einen enormen Teamgeist und sehr gute Planung durch den Trainer. Es gibt deshalb eine lange Reihe perfekt eingeübter Moves, die nicht von einzelnen Spielern, sondern vom ganzen Team ausgeführt werden, wobei jeder eine genau vorgeschriebene Aufgabe hat. Jedes Mal, wenn der Spieler mit dem Ball zu Boden geworfen wird oder aus der Seitenlinie läuft, wird das Spiel abgebrochen und genau von dieser Position aus auf dem Feld weitergespielt. Dort wird dann noch einmal ein Spielzug ausgedacht, um dem Gegner das Leben nicht zu leicht zu machen. Auch in der Defensive kennt man diverse Moves, um so schnell wie möglich zum Quarterback zu kommen und ihm den Ball zu wegzunehmen oder bei einem Wurf den Ball noch im Flug abzufangen.

"Madden NFL 08" setzt das Prinzip dieser Sportart, die in Europa zunehmend an Beliebtheit gewinnt, sehr gut um. Die Spieler stellen sich genau auf unterschiedliche Taktiken ein, ihre Fähigkeiten sind stark von ihren Positionen abhängig und sie kämpfen sich in vier verschiedenen Schwierigkeitsstufen Meter um Meter nach vorn. Doch perfekt ist das alles noch nicht.

Ein hochstrategisches Spiel

Wie bereits erwähnt, sind das Wichtigste beim American Football die geplanten Taktiken. Jedes Team kennt normalerweise Dutzende bis Hunderte von Spielzügen; im Spiel selbst sind etliche sowohl beim Angriff als auch bei der Verteidigung zu finden. Man hat aber nicht ewig Zeit, um sich eine Taktik auszusuchen; vielmehr muss man sich in wenigen Sekunden entschieden haben und den Ball spielen. Die Dynamik des Spiels wurde seit dem letzten Jahr verbessert; die Spiele verlaufen schneller und enthalten trotz der Unterbrechungen bei jedem Down eigentlich nur wenige Pausen. Man muss schnell denken und noch schneller handeln. Spielt man schon auf der Linie, kann man immer noch seinen Teamkollegen Befehle erteilen, um sich den verändernden Verhältnissen anzupassen.

Besonders gut umgesetzt sind die Pässe. Wählt man eine Taktik, bei der der Quarterback den Ball fliegen lassen soll, schwebt über den Köpfen von vier Spielern ein farbiges Symbol. Um zu einem von ihnen zu passen, braucht man nur noch den entsprechenden Knopf auf der Steuerung zu drücken, alles andere verläuft, sofern man nicht schnell zum Spieler wechselt, automatisch. Allerdings findet man gerade hier eine der gravierendsten Schwächen von "Madden NFL 08". Zum einen fliegen Bälle immer präzise auf den ausgewählten Spieler, man wirft also nie darüber oder darunter, was wenig realistisch ist. Zum anderen lassen Wide Receivers oft den Ball fallen (also machen ein Fumble). Das führt dazu, dass man besonders in den leichteren Spielmodi oft solche Bälle fangen und in voller Geschwindigkeit zum Touchdown rennen kann. Eine rasche Ermüdung der Spieler aber hat häufig zur Folge, dass man nicht sehr weit kommt.

Nach einem Touchdown folgt das Field Goal für drei Punkte. Die Steuerung ist dabei völlig unkompliziert gestaltet: Der linke Joystick wird wie bei einem Mini-Spiel schnell nach oben und unten bewegt; seitliche Bewegungen kicken den Ball zur Seite. Es ist aber fast unmöglich, den Ball unerwünscht ins Publikum zu werfen. Hat der Computer den Ball bei einem Kickoff, wird meist ein Onside Kick ausgeführt, egal ob es taktisch korrekt ist oder nicht. Hier schwächelt die sonst gute künstliche Intelligenz des Spiels.

Ein Ball mit eigener Physik

"Madden NFL 08" hat sich endlich ein Beispiel an Konamis "Pro Evolution Soccer" und mittlerweile auch am EA-internen "FIFA" genommen und Spieleranimationen von Ballbewegungen getrennt. Man sieht jetzt, wie Bälle auf Helme schlagen, auf dem Boden hüpfen oder durch die Finger mancher Spieler rutschen. Interceptions des Balles im Flug sind daher viel realistischer als bei den vorhergehenden Titeln des Franchises. Das bedeutet aber nicht, dass es weniger Animationen der Spieler gibt, im Gegenteil, man findet hier Hunderte von neuen Bewegungsabläufen, die ausnahmslos realistisch dargestellt werden. Endlich ist es auch möglich, mit mehreren Spielern jemanden zu tackeln und man kann sogar Spieler der eigenen Mannschaft stören, wenn man ihnen im Weg steht. Obwohl das Publikum, der Trainer und die Spieler auf der Bank im Gegensatz zum bekannteren "FIFA"-Spiel völlig dreidimensional gestaltet sind, lassen die Anzahl der Animationen bzw. die KI der Figuren zu wünschen übrig. Das Publikum freut sich immer noch, wenn die Mannschaft dabei ist, zu verlieren: Spieler auf der Bank bewegen sich meistens völlig synchron und sehen daher fast so aus wie Cheerleader. Der Trainer läuft immer in T-Shirts herum, gleichgültig, ob die Sonne scheint oder fünf Zentimeter Schnee auf dem Feld liegen. Das sind zwar nur Kleinigkeiten, aber sie stören doch.

Weapons und der Hit Stick 2.0

Die wichtigste Neuerung bei "Madden NFL 08" ist die Einführung von Weapons. Es handelt sich dabei nicht um Pistolen und Gewehre (obwohl die Idee sicherlich für manche interessant wäre), sondern um besondere Fähigkeiten einiger Spieler. Mit wenigen Tastendrücken kann ein Catcher seine Arbeit perfekt ausführen, ein Quarterback kann den Spielfluss perfekt lesen und damit viel leichter die erfolg versprechendste Taktik auswählen. Spieler auf der Offensive Line überrennen einfach den Gegner, doch über die Waffenauswahl verfügt der Gegenspieler ebenfalls. Das macht den Spielfluss schneller und dynamischer und viele Situationen sind somit viel spannender als bisher. Durch die Einführung des Hit Sticks 2.0 kann man beim Tackling entweder höher oder weiter nach unten springen. Das kann zu bösartigen Angriffen auf Kniehöhe führen, die Gegenspieler für Wochen ins Krankenhaus bringen. Verletzungen werden während des Spiels mittels Röntgenaufnahmen angezeigt.

Die richtige Wetterlage und ein langweiliger Nachrichtensprecher

Die Grafik des Spiels ist mit überaus detaillierten Figuren sehr schön anzuschauen. Leider sehen sie vor und nach dem Spiel genau gleich aus, was wiederum als nicht ganz realistisch erscheint. Dafür freuen sich die Spieler wie kleine Jungs, wenn sie einen Touchdown schaffen, oder ärgern sich, wenn sie der gegnerischen Mannschaft erlauben, ein paar Meter weiterzukommen. Das macht "Madden NFL 08" viel menschlicher und ist lustig anzuschauen. Die Stadien sehen phänomenal aus und bei schlechter Wetterlage hinterlässt man Spuren auf dem Rasen, die während des gesamten Spiels dort bleiben. Hier hat Electronic Arts anscheinend sehr viel Arbeit reingesteckt, was sich durchaus bezahlt macht. In jeder Halbzeit kann man sich Wiederholungen einiger spektakulärer Spielzüge anschauen und sich dabei eigene Fehler verdeutlichen oder einfach über den Gegner lustig machen. Leider wurde der Nachrichtensprecher seit dem letzten Jahr nicht ausgetauscht. Obwohl John Madden für seine lustigen und oft selbstverständlichen und überflüssigen Ansagen bekannt ist, ignoriert man den Wunsch der Spieler überall auf der Welt und besetzt die Radiokabine mit demselben Sprecher wie im letzten Jahr. Die Ansagen mögen korrekt sein, aber sie werden langweilig wiedergegeben und wiederholen sich viel zu oft.

Multiplayer

Möchte man mit anderen menschlichen Gamer spielen oder gegen sie kämpfen, darf man zu zweit gegen die Konsole oder zwei andere menschliche Gegner antreten. Online gibt es aber weiterhin keine Ligen, was die Spieldauer leider erheblich reduziert. Im Offlinespiel kann man auswählen, ob man im Franchise-Modus das ganze Team lenkt und kontrolliert, oder ob man sich im Superstar-Modus in die Rolle eines Spielers versetzt und ihn durch die gesamte Saison begleitet. Wer nicht immer selbst spielen möchte, kann während eines Matches den Super-Sim-Modus aktivieren und so das gesamte Spiel simulieren. Möchte man an einem bestimmten Punkt wieder zurück, kann man das durchaus machen, um beispielsweise manche gefährliche Situation wieder zu entschärfen.